LG Hamburg, Urteil vom 28.06.2019 - 315 O 255/18
Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. Juni 2019 (Aktenzeichen 315 O 255/18) bezieht sich auf einen Fall der Zulassung von Rechtsdienstleistungen und deren Erbringung durch eine Online-Marketing-Agentur sowie auf die Frage der unlauteren Wettbewerbshandlungen im Zusammenhang mit Abmahnungen.
Zusammenfassung
Tenor
1. Die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.954,46 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit dem 25. April 2018 zu zahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits wie Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts die berufsständische Organisation der im Bezirk des Hanseatischen Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsanwaltnen und Rechtsanwälte. Die Beklagte betreibt eine online-Marketing-Agentur, der Beklagte ist Ihr Geschäftsführer. Die Beklagten besitzen weder eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft noch eine Erlaubnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen gemäß § 3 RDG.
Die Klägerin ließ die Beklagten mit Schreiben ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2018 abmahnen. Diese Abmahnung wird als Anlage K2 vorgelegt, der weitere Schriftwechsel in den Anlagen K 3 bis K 8. Die Beklagten gaben zunächst per Telefax am 24 April 2018 eine auf das Anbieten von Rechtsdienstleistungen beschränkt Unterlassungserklärung ab. Diese ist von der Klägerin als Anlage K 4 vorgelegt. Die Klägerin nahm die Erklärung an. Die geltend gemachten Kosten der Abmahnung nach einem Gegenstandswert von 50.000 € beglichen die Beklagten nicht. Sie sind Gegenstand vorliegender Klage.
Gegenstand der Abmahnung waren der internetauftritt der Beklagten unter der Domain http://s...-bewertungen.de, wovon die Klägerin in der Anlage K 1; auf die Bezug genommen wird, Screenshot-Auszüge vorlegt. Die Klägerin beanstandete in der Abmahnung, dass die Beklagten auch Rechtsdienstleistungen im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes anboten, ohne dazu befugt zu sein, da nicht nur einfache mit der Dienstleistung einhergehende, sondern auch im Einzelfall die Prüfung schwieriger Rechtsfragen angeboten wurde. Hinsichtlich der Beanstandungen im Einzelnen wird auf Seite 3-6 der Klage unter dem Buchstaben a.-k. gemäß § 313 Abs. 2 ZPO Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr aufgrund dieser begründeten Abmahnung ein Anspruch auf Erstattung der durch die Einschaltung Ihrer Anwälte entstandenen vorgerichtlichen Abmahnkosten zustehe. Sie dürfe sich in Wettbewerbsstreitigkeiten auch bereits bei der Abmahnung anwaltlicher Hilfe bedienen. Es gehöre nicht zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Rechtsanwaltskammern, Wettbewerbsprozessen zu führen und die dafür erforderliche Expertise vorzuhalten. Die Klägerin verweist insoweit auf die Rechtsprechung der Kammer sowie weiterer obergerichtliche Entscheidungen in dieser Frage.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.954,46 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit dem 25 April 2018 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Auffassung, dass die Abmahnung zu Unrecht ausgesprochen worden sei. Ein Verstoß gegen das Rechtsdlenstleistungsgesetz liege nicht vor. Insoweit seien hier gemäß § 5 RDG entgeltliche Beratungsleistungen zulässig, da sie unmittelbar mit den jeweils angebotenen Dienstleistungen im Zusammenhang stünden.
Darüber hinaus sei die Abmahnung der Klägerin rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin habe eine Mehrzahl von gleichgelagerten Abmahnungen ausgesprochen.
Der Klägerin stehe unabhängig von der Berechtigung der Abmahnung ein Anspruch auf Ersatz von Anwaltskosten nicht zu. Die Klägerin könne und müsse Abmahnungen ohne anwaltliche Hilfe wie jeder andere Wettbewerbsverein auch aussprechen. Die Einschaltung von Rechtsanwälten sei deshalb nicht als erforderlich anzusehen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze einschließlich alter zur Akte gereichten Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Hinsichtlich der Hinweise der Kammer wird auf die Verfügung vom 26. April 2019 (Blatt 41/42) der Akte sowie auf die Niederschrift der Sitzung vom 12. Juni 2019 (Blatt 58-60) der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.
1. Der Klägerin steht gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG ein Anspruch auf Erstattung der durch die vorgerichtliche Einschaltung ihrer Rechtsanwälte zur Abmahnung der Beklagten entstandenen Kosten zu. Die Abmahnung vom 13. April 2018 (Anlage K 2) war begründet Die Klägerin beanstandete darin eine Mehrzahl von Verstößen auf der Website der Beklagten gegen § 3 RDG. Diese Beanstandungen waren überwiegend begründet. Hinsichtlich der Kostenerstattung kommt es im Wettbewerbsrecht nicht darauf an, dass alle beanstandeten Punkte begründet waren, da es sich nach der so genannten TÜV-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschl. Vom 24.03.2011 - I ZR 108/09) im Wettbewerbsrecht (anders als im Markenrecht) nicht um eigenständige Streitgegenstände handelt, sondern lediglich um einzelne Begründungen desselben Unterlassungsanspruchs.
Die Abmahnung war bereits deshalb begründet, weil nicht nur die die eigentliche Dienstleistung begleitende Prüfung einfacher rechtlicher Vorfragen bzw. latente Nutzung juristischen Vorwissens auf der Website der Beklagten http://s...-bewertungen.de beworben und angeboten wurde, sondern beispielsweise auch die folgende Leistungsbeschreibung eigenständige rechtliche Überprüfungen im Einzelfall verspricht:
„Wir haben ihre Bewertungen jederzeit im Blick und decken Beleidigungen, Unwahrheiten oder anstößige Inhalte auf. Liegt ein Verstoß vor, wenden wir uns direkt an Google und beantragen, die Bewertungen löschen zu lassen. Rufen Sie uns jetzt an, wenn wir ihren negativen Google-Bewertungen professionell prüfen und eine Entfernung einleiten sollen.“
Dies stellt das entgeltliche Anbieten von Rechtsdienstleistungen im Einzelfall dar und nicht nur die inhaltliche Prüfung auf Vereinbarkeit mit den Google-AGB. Die Prüfung und Verfolgung von Beleidigungen, Unwahrheiten oder „anstößiger“ Inhalte bedeutet eine Rechtsprüfung im Einzelfall, die nicht im unmittelbaren notwendigen Zusammenhang mit der eigentlich angebotenen Dienstleistung steht, sondern eine (weitere) Beratungsleistung im Sinne einer Rechtsberatung darstellt. So heißt, es unter der Rubrik „Bewertungen bei Google löschen lassen“ weiter: „Werden in den Google Bewertungen falsche Tatsachen dargestellt oder sind Verleumdungen, Beleidigungen oder eine üble Nachrede enthalten, anstößige oder verletzende Formulierung beinhaltet, urheberrechtlich geschützte Texte verwendet, sexuelle Inhalte dargestellt, vertrauliche Informationen preisgegeben oder Personengruppen angegriffen, verstoßen diese gegen die Google-Richtlinien und können gelöscht werden Um solche Bewertungen ausfindig zu machen, prüfen unsere erfahrenen Reputationsmanager die Inhalte der Bewertungen streng. Sollten ihnen diffamierende/rechtswidrige Äußerungen auffallen, werden sie umgehend aktiv und veranlassen, die Bewertung bei Google löschen zu lassen. In bestimmten Fällen können auch rechtliche Schritte eingeleitet werden.“
Nicht nur der letzte Satz bietet offen Rechtsdienstleistungen an, die Rechtsanwälten oder anerkannten Stellen nach § 8 RDG vorbehalten sind oder für die eine Erlaubnis gemäß § 3 RDG erforderlich ist. Die strafrechtliche Prüfung im Einzelfall und die Einleitung rechtlicher Schritte sind keine nach § 5 Abs. 2 RDG zulässigen Nebenleistungen. Dies wird auch nicht dadurch relativiert, dass an anderer Stelle von „Hausanwälten“ die Rede ist, mit denen die Beklagten zusammenarbeiten. Die angesprochenen Verkehrskreise können diese Werbung nur so verstehen, dass die Beklagten diese Leistungen selbst erbringen können und erbringen werden insofern bestand wenigstens Erstbegehungsgefahr, ohne dass die Klägerin vortragen muss, dass die Beklagten solche Leistungen tatsächlich erbracht haben.
Weiter heisst es unter der Rubrik „Abmahnung wegen schlechter Bewertung“: „In einigen Fällen ist es nicht ratsam, eine schlechte Bewertungen löschen zu lassen, sondern darüber hinaus weitere rechtliche Schritte einzuleiten. Gegen ehrverletzende Kritiken kann ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden. Der Verfasser erhält eine Abmahnung und drohen juristische Maßnahmen.“
Sind bereits diese Punkte der Abmahnung begründet, kommt es auf die Prüfung aller weiteren Beanstandungen vorliegend nicht an.
Diese Verstöße der Beklagten gegen die §§ 3, 5 RDG stellen zudem Verstöße gegen § 3 a UWG dar und sind deshalb auch wettbewerbswidrig. Die Beklagten verhalten sich im Wettbewerb unlauter, wenn sie die Beschränkungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes missachten und sie verschaffen sich dadurch einen unberechtigten Vorteil vor rechtstreuen Mitbewerbern, weil ihr Angebot attraktiver und effektiver erscheint. Deshalb sind die Verstöße auch spürbar im Sinne des § 3 a UWG (BGH GRUR 2004, 253 (254) - Rechtsberatung durch Automobilclub). Es handelt sich bei den Vorschriften des RDG auch um so genannte „Marktverhaltensregeln“ im Sinne des § 3 a UWG, so dass aufgrund dieser Verstöße Mitbewerbern und den weiteren in § 8 Abs. 3 UWG genannten klagebefugten Institutionen Unterlassungsansprüche gemäß § 8 Abs. 1 UWG zustehen.
2. Ein Erstattungsanspruch vorgerichtlicher anwaltlicher Abmahnkosten ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts und gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen aktivlegitimierter Verband Abmahnungen selbst aussprechen müsste und deshalb die Einschaltung von Rechtsanwälten zur Abmahnung von Wettbewerbsverstößen der vorliegenden Art nicht als erforderlich anzusehen wäre. Die Rechtsanwaltskammern und auch die Klägerin sind nach der ständigen Rechtsprechung der mit Wettbewerbsrecht befassten Zivil- und Kammern für Handelssachen des hiesigen Landgerichts berechtigt, sich für Abmahnung von Wettbewerbsverstößen anwaltlicher Hilfe zu bedienen (z.B. Urt. der Kammer vom 1.10.2015 - Az. 315 O 515/14). Die Klagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG macht aus der Klägerin keinen „normalen“ Wettbewerbsverein, der in der Tat die für Abmahnungen nötige Expertise im eigenen Hause vorhalten muss und deshalb Abmahnungen selbst auszusprechen hat, für die nur eine gewisse anteilige Kostenpauschale verlangt werden kann. Die Klägerin als berufsständische Organisation der beim Hanseatischen Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwaltnen und Rechtsanwälte hat demgegenüber eine Fülle weiterer, unterschiedlichster Aufgaben, die sich nicht in der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen erschöpft oder auch nur dort seinen Schwerpunkt hätte. Zudem spielen weitere wettbewerbsrechtliche Spezifika. (Reaktion auf die Abmahnung, Streit um Umfang und Inhalt der Unterlassungserklärung) eine Rolle, für deren Bewältigung Anwälte mit wettberechtsrechtlicher Expertise hinzugezogen werden dürfen (vgl. BGH GRUR-RR 2016, 1189 - Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur).
Der Vorliegende Fall gibt insofern keine Veranlassung, von der ständigen Rechtsprechung der Kammer abzuweichen.
3. Für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Klägerin etwa im Hinblick auf die bloße Erzielung von Gebühren besteht keinerlei Anhaltspunkt. Selbst wenn die Klägerin, wie die Beklagten geltend machen, weitere Abmahnungen von Wettbewerbern der Beklagten ausgesprochen haben, spricht dies nicht für einen Rechtsmissbrauch, sondern dafür, dass auch weitere Mitbewerber sich nicht rechtstreu verhalten und die Klägerin nicht nur die Beklagten willkürlich „herausgepickt“ hat, um ihnen zu schaden. Nach der Konzeption des Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb werden Verstöße nicht von einer Behörde geahndet, sondern durch Abmahnungen und Klagen von Wettbewerbern und den in § 8 Abs. 3 UWG genannten klagebefugten Verbänden.
4. Der von der Klägerin zu Grunde gelegte Gegenstandswert ist angesichts der keineswegs unbedeutenden Wettbewerbs- und Rechtsverstöße der Beklagten angemessen und entspricht den in vergleichbaren Fällen von der Kammer und dem Hanseatischen Oberlandesgericht als angemessen angesehenen Gegenstandswerten. Die festgesetzte Rahmengebühr von 1,3 ist ebenfalls nicht unbillig.
5. Die Beklagte und ihr Geschäftsführer, der Beklagte zu 2, haften beide auf Unterlassung. Soweit der Bundesgerichtshof die Geschäftsführerhaftung bei „reinen“ UWG-Verstößen (im Gegensatz zum beispielsweise Markenrecht) eingeschränkt hat (BGH GRUR 2014, 883 -Geschäftsführerhaftung), greift dies vorliegend nicht zu Gunsten des Beklagten ein, weil es um den (kompletten) Internetauftritt geht, der üblicherweise vom Geschäftsführer verantwortet wird; Gegenteiliges ist nicht vorgetragen. Die Beklagten haften deshalb beide auch für die Kosten der Abmahnung „wie“ Gesamtschuldner, auch wenn Unterlassung jeder für sich schuldet; denn die Unterlassung des Beklagten als Geschäftsführer ist zugleich das Unterlassen der Beklagten und umgekehrt (solange er ihr Geschäftsführer ist).
II.
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV.
Die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 3 ZPO.